Astrid Schweimler im Gespräch mit dem Komponisten Claus Kühnl

Sie haben bisher vorwiegend Instrumentalmusik für die unterschiedlichsten Besetzungen komponiert. 1988/89 haben sie das Musiktheater La petite Mort herausgebracht, Die Geschichte von der Schüssel und vom Löffel ist jedoch Ihre erste große Oper. Wie kam es dazu?

Zum einen begegnete ich in den Jahren 1992/93 dem Autor Michael Ende. Die Begegnungen fanden in sehr warmherziger privater Atmosphäre statt und waren künstlerisch für mich sehr aufschlußreich - in der übrigen Zeit bis zu seinem überraschenden Tod im August 1995 haben wir miteinander korrespondiert.
Wie Sie wissen ist meine Oper ein Auftragswerk der Landesmusikakademie Nordrhein Westfalen und der Stiftung Kunst und Kultur NRW. Nach der Aufführung meines Bühnenerstlings La petite Mort in Frankfurt im Jahre 1991 kam der derzeitige Generalsekretär der Jeunesse Musicales, Thomas Rietschel, auf mich zu und gratulierte mir zu meiner - wie er sagte - bilderreichen Musik, die einen starken Eindruck auf ihn gemacht hätte.
Er arbeitete damals noch als Bildungsreferent an der Landesmusikakademie NRW in Heek. Ohne Umschweife fragte er mich, ob ich mir vorstellen könne eine Kinderoper zu schreiben, denn für Kinder wäre eine bildhafte Musik eine wichtige Voraussetzung für das Verstehen einer Bühnenhandlung und brachte mich kurz darauf mit dem Direktor der Landesmusikakademie, Ernst Leopold Schmid, zusammen. Diesem ist es zu verdanken, daß ich mich alsbald mit dem Plan befaßte, eine Oper für Kinder wie für Erwachsene zu komponieren. Mit unermüdlichem Eifer trieb er die notwendigen Dinge voran und ohne ihn hätte ich so manches Mal bei der Überwindung zahlreicher Hindernisse am liebsten den Stift hingeworfen! Aus Dankbarkeit für sein Durchhalten und seine Treue gegenüber unserem Projekt habe ich ihm meine Partitur gewidmet.

Wie Sie eben sagten, richten Sie sich mit Ihrer Oper gleichermaßen an Kinder wie Erwachsene. Wie erzielen Sie die Balance zwischen ernster Thematik und kindgerechter Darstellung?

Zuerst einmal gibt es die einfach zu verfolgende Handlung des Märchens, die mehrfach von einem Erzähler kommentiert wird. Die Musik hingegen ist doppelbödiger: sie enthält eine Vielzahl von Anspielungen und Zitaten, die ein Kind aber nicht erkennen muß, um die Handlung zu verstehen. In der ersten Beratungsszene beispielsweise erklingt zweimal zu den Worten der Könige an ihre Frauen ein pathetisches Wagner-Zitat. Die Könige singen: "Du bist wirklich genial, meine Liebe", aus dem Orchester tönen die Tristan-Akkorde, was diese Stelle lächerlich macht, denn die Königinnen sind keineswegs genial oder phänomenal, wie es später heißt, sondern nur ein bißchen weniger dumm als ihre Männer. Derartige Verknüpfungen von Text und Musik wird ein Kind nicht verstehn, braucht es wie gesagt auch nicht, sie existieren rein zum Vergnügen des Opernkenners.

Ihre Oper ist auch ein Plädoyer gegen den Krieg. Wer übernimmt für Sie heute die Rolle der Serpentine Irrwisch?


Jede Macht, der es gelingt, zwischen schwächeren Parteien oder Volksgruppen Zwietracht zu säen und dann zuzusehen, wie diese sich zerfleischen. Aber die böse Fee in unserer Oper bringt ja nur den Stein ins Rollen. Wesentlicher für den dramatischen Konflikt ist die Dummheit der Königspaare. Diese zu dekuvrieren hat mich bei der Arbeit am meisten gereizt, denn Dummheit ist oft die Ursache für das Böse.

In Ihrer Partitur haben Sie auch echte Militärmärsche collagiert wie sie heute noch bei Paraden gespielt werden. Könnte man Ihre Komposition auch als eine Auseinandersetzung mit der bestehenden Volks- und Marschmusik begreifen?


Zur Marschmusik des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, denn aus dieser Zeit stammen die meisten heute noch gebrauchten Stücke, habe ich schon als Kind ein gespaltenes Verhältnis gehabt: Auf der einen Seite sind manche dieser Märsche tatsächlich kunstvoll komponiert; wenn man einmal genau hinsieht, wird man das bemerken. Manche Märsche klingen auch regelrecht fröhlich. Auf der anderen Seite habe ich den militärischen Gleichschritt immer schon gehaßt. Einschlägige Erfahrungen konnte ich während meiner 15-monatigen Wehrpflichtzeit zur Genüge sammeln. Nicht zuletzt wollte ich mit meiner Marschmontage in der Oper etwas von jenem Entsetzen vermitteln, das sich einstellt, wenn das frohgemute Marschieren plötzlich in zerstörerischen Ernst umschlägt.

Sie komponierten 1981 eine Musik der Stille für Kammerorchester. Betrachten Sie Ihr Komponieren als Gegengewicht zur Reizüberflutung unserer heutigen Zeit?


Wir sollten froh sein, daß es Theater und Konzertsäle gibt, die uns neben dem reichen Schatz der Vergangenheit die Begegnung mit der Gegenwartskunst ermöglichen. Mit jedem Werk das ich schreibe, sei es ein ganz kleines Stück oder ein Monstrum wie die Oper, versuche ich etwas Neues zu schaffen wie die meisten Zeitgenossen, die mir bekannt sind. Unsere Produkte erfordern, daß man sich Ihnen mit Interesse und Neugier hingibt, daß man sich für längere Zeit auf das zu Hörende oder Sehende voll konzentriert. Diese Fähigkeit ist sicherlich bei manchen Kindern wie Erwachsenen durch den berieselnden Einfluß des Fernsehens und anderer Medien sehr geschwächt worden. Wo aber das Hören und Sehen wirklich gelingt, ist es ein kleiner Sieg im Kampf gegen Reizüberflutung, Abstumpfung und letzten Endes Verdummung.

Wie möchten Sie die Kinder an das Hören Ihrer Musik heranführen?


Ich verfolge zunächst einmal keine pädagogische Absicht, dies ist Aufgabe der Schulmusiker und Theaterpädaogen. Mein Werk ist da und ich hoffe, daß nun möglichst viele Kinder kommen und es hören und sehen. Sie sollen ihren Spaß dabei haben und wenn sie nach der Aufführung mit ihren Freunden und Eltern über die eine oder andere Frage reden und nachdenken: wunderbar!

Prinzessin Praline und Prinz Saffian sind in Ihrer Partitur mit Kindern besetzt, hinzukommt ein dreistimmiger Kinderchor. Glauben Sie, daß die zuschauenden Kinder durch das Auftreten von Kindern sich stärker in das Bühnengeschehen eingebunden fühlen? Oder haben Sie rein musikalische Gründe diese Kinderstimmen einzusetzen?


Ihre Frage läßt sich leicht beantworten: in der Geschichte von Michael Ende spielen die Königskinder eine entscheidende Rolle, folglich wollte ich sie auch in der Oper echt, d.h. mit wirklichen Kindern besetzen. Darüber hinaus hat es mich gereizt, den Klang von Mädchen- und Knabenstimme im musikalischen Kosmos der Oper dabei zu haben.
Ich erinnere mich noch gut daran, als elf- oder zwölfjähriger selbst einmal eine Rolle in der Schuloper Der Igel als Bräutigam von Cesar Bresgen übernommen zu haben. Diese Aufgabe gut bewältigt zu haben, hat mich damals mit Stolz erfüllt und sicher auch geprägt. Ich kann heute noch Teile der Arien aus diesem Stück heruntersingen, obwohl ich die Musik nicht nach Noten gelernt hatte: unser Musiklehrer hat sie mir vom Klavier aus eingetrichtert und ich hatte mächtigen Spaß an der Sache.
Bei der Geschichte von der Schüssel und vom Löffel kommt hinzu, daß die Kinder mit den Profis zusammen auf der Bühne stehen und daß die gesamte Produktion von Theaterprofis erarbeitet wird. Ich bin sehr gespannt, ob und wie dies funktionieren wird.

Programmheft des Theaters Bielefeld der Spielzeit 1998/99
(Programmheft für das Musiktheater, Nr. 3)