Astrid Schweimler
im Gespräch mit dem Komponisten Claus Kühnl
Wie Sie eben sagten, richten Sie sich
mit Ihrer Oper gleichermaßen an Kinder wie Erwachsene. Wie erzielen
Sie die Balance zwischen ernster Thematik und kindgerechter Darstellung?
Zuerst einmal gibt es die einfach zu verfolgende
Handlung des Märchens, die mehrfach von einem Erzähler kommentiert
wird. Die Musik hingegen ist doppelbödiger: sie enthält eine
Vielzahl von Anspielungen und Zitaten, die ein Kind aber nicht erkennen
muß, um die Handlung zu verstehen. In der ersten Beratungsszene
beispielsweise erklingt zweimal zu den Worten der Könige an ihre
Frauen ein pathetisches Wagner-Zitat. Die Könige singen: "Du
bist wirklich genial, meine Liebe", aus dem Orchester tönen
die Tristan-Akkorde, was diese Stelle lächerlich macht, denn die
Königinnen sind keineswegs genial oder phänomenal, wie es später
heißt, sondern nur ein bißchen weniger dumm als ihre Männer.
Derartige Verknüpfungen von Text und Musik wird ein Kind nicht verstehn,
braucht es wie gesagt auch nicht, sie existieren rein zum Vergnügen
des Opernkenners.
Ihre Oper ist auch ein Plädoyer gegen
den Krieg. Wer übernimmt für Sie heute die Rolle der Serpentine
Irrwisch?
Jede Macht, der es gelingt, zwischen schwächeren
Parteien oder Volksgruppen Zwietracht zu säen und dann zuzusehen,
wie diese sich zerfleischen. Aber die böse Fee in unserer Oper bringt
ja nur den Stein ins Rollen. Wesentlicher für den dramatischen Konflikt
ist die Dummheit der Königspaare. Diese zu dekuvrieren hat mich bei
der Arbeit am meisten gereizt, denn Dummheit ist oft die Ursache für
das Böse.
In Ihrer Partitur haben Sie auch echte
Militärmärsche collagiert wie sie heute noch bei Paraden gespielt
werden. Könnte man Ihre Komposition auch als eine Auseinandersetzung
mit der bestehenden Volks- und Marschmusik begreifen?
Zur Marschmusik des achtzehnten und neunzehnten
Jahrhunderts, denn aus dieser Zeit stammen die meisten heute noch gebrauchten
Stücke, habe ich schon als Kind ein gespaltenes Verhältnis gehabt:
Auf der einen Seite sind manche dieser Märsche tatsächlich kunstvoll
komponiert; wenn man einmal genau hinsieht, wird man das bemerken. Manche
Märsche klingen auch regelrecht fröhlich. Auf der anderen Seite
habe ich den militärischen Gleichschritt immer schon gehaßt.
Einschlägige Erfahrungen konnte ich während meiner 15-monatigen
Wehrpflichtzeit zur Genüge sammeln. Nicht zuletzt wollte ich mit
meiner Marschmontage in der Oper etwas von jenem Entsetzen vermitteln,
das sich einstellt, wenn das frohgemute Marschieren plötzlich in
zerstörerischen Ernst umschlägt.
Sie komponierten 1981 eine Musik
der Stille für Kammerorchester. Betrachten Sie Ihr Komponieren
als Gegengewicht zur Reizüberflutung unserer heutigen Zeit?
Wir sollten froh sein, daß es Theater und Konzertsäle gibt, die uns neben dem reichen Schatz der Vergangenheit die Begegnung mit der Gegenwartskunst ermöglichen. Mit jedem Werk das ich schreibe, sei es ein ganz kleines Stück oder ein Monstrum wie die Oper, versuche ich etwas Neues zu schaffen wie die meisten Zeitgenossen, die mir bekannt sind. Unsere Produkte erfordern, daß man sich Ihnen mit Interesse und Neugier hingibt, daß man sich für längere Zeit auf das zu Hörende oder Sehende voll konzentriert. Diese Fähigkeit ist sicherlich bei manchen Kindern wie Erwachsenen durch den berieselnden Einfluß des Fernsehens und anderer Medien sehr geschwächt worden. Wo aber das Hören und Sehen wirklich gelingt, ist es ein kleiner Sieg im Kampf gegen Reizüberflutung, Abstumpfung und letzten Endes Verdummung.
Wie möchten Sie die Kinder an das
Hören Ihrer Musik heranführen?
Ich verfolge zunächst einmal keine
pädagogische Absicht, dies ist Aufgabe der Schulmusiker und Theaterpädaogen.
Mein Werk ist da und ich hoffe, daß nun möglichst viele Kinder
kommen und es hören und sehen. Sie sollen ihren Spaß dabei
haben und wenn sie nach der Aufführung mit ihren Freunden und Eltern
über die eine oder andere Frage reden und nachdenken: wunderbar!
Prinzessin Praline und Prinz Saffian sind
in Ihrer Partitur mit Kindern besetzt, hinzukommt ein dreistimmiger Kinderchor.
Glauben Sie, daß die zuschauenden Kinder durch das Auftreten von
Kindern sich stärker in das Bühnengeschehen eingebunden fühlen?
Oder haben Sie rein musikalische Gründe diese Kinderstimmen einzusetzen?
Ihre Frage läßt sich leicht
beantworten: in der Geschichte von Michael Ende spielen die Königskinder
eine entscheidende Rolle, folglich wollte ich sie auch in der Oper echt,
d.h. mit wirklichen Kindern besetzen. Darüber hinaus hat es mich
gereizt, den Klang von Mädchen- und Knabenstimme im musikalischen
Kosmos der Oper dabei zu haben.
Programmheft des Theaters Bielefeld der
Spielzeit 1998/99 |