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Claus Kühnl
Zu meinen Bearbeitungen romantischer
Musikstücke
insbesondere dreier später Klavierstücke Liszts (2000)
Mehrfach
habe ich in den letzten 15 Jahren Werke romantischer Komponisten unter
verschiedensten Gesichtspunkten bearbeitet.
Mein Klavierstück Anverwandlung/Doppelblick (1990) zerlegt
Edvard Griegs "Arietta" aus den "Lyrischen Stücken"
op. 12, dehnt das Original, kommentiert und überlagert es mit eigenen
Einfällen, wodurch ein neues Werk entsteht, in welches die "Arietta"
gleichsam versenkt wurde.
1999 habe ich zu Richard Wagners letztem notierten musikalischen Einfall
- 13 vier- bis fünfstimmige Takte - eine sechste Stimme geschrieben
und eine Einleitung sowie eine Coda hinzugefügt. Es entstand eine
kurze Paraphrase für Solovioline, 14 Streicher und Klavier, wobei
die Violine das Original größtenteils "übermalt".
An dieser Stelle möchte ich auf Mozarts Bearbeitungen Bach'scher
Fugen verweisen, welche dieser für Streichtrio gesetzt und mit je
einem einleitenden Adagio versehen hat: ein eindrucksvoller Beleg für
die Anpassung barocker Kontrapunktik an die klassische Tonsprache.
1985 konzipierte ich eine Bearbeitung dreier später Klavierstücke
Liszts für großes Orchester im Hinblick auf seinen hundertsten
Todestag. Die letzen zehn Lebensjahre Liszts waren von innerer Einsamkeit
geprägt, wovon eine Fülle kleiner Klavierstücke Zeugnis
ablegt, die wenig gemein haben mit den Bravourstücken aus den Tagen
seiner Glanzzeit als Klaviervirtuose.
Die späten Klavierstücke muten wie ein Tasten und Suchen in
einer damals noch unbekannten Welt an. Manche Strukturen weisen weit ins
20. Jahrhundert hinein.
Ich wählte nuages gris (1881), en rêve (1886) und Die Trauergondel
II (1882) und versah diese Suite mit dem programmatischen Titel Die
Einsamkeit des Franz Liszt, um den gemeinsamen Wesenszug, den ich
in jenen Stücken zu entdecken glaubte, hervorzuheben. Ganz in diesem
Sinne äußerte sich Alfred Einstein 1950: "In der Tat ist
kein Musiker der Romantik so 'weltläufig' gewesen wie Liszt, hat
die Triumphe des Virtuosentums so ausgekostet wie er, ist mit allen geistigen
Strömungen seiner Zeit in so unmittelbare Berührung geraten
und ist dabei im Innersten so einsam und heimatlos geblieben." ("Die
Romantik in der Musik")
Im Gegensatz zu meinen eingangs erwähnten Stücken ging es mir
bei den Liszt-Bearbeitungen keineswegs um die Schaffung eines neuen Werkes.
Dennoch handelt es sich - vorallem im Falle der "Trauergondel"
- nicht um bloße Transkription. Vielmehr wollte ich - und ob mir
dies gelungen ist, möge der Hörer beurteilen - diese Stücke
in den Rang vollendeter Kunstwerke erheben, was sie in der überlieferten
Form zweifellos nicht sind. "Nuages gris" ist beim besten Willen
keine Klaviermusik, auch wenn Hanno Ehrler in seiner Rezension der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 15. April 1992 ("Die Einsamkeit ausloten")
schreibt: "Der abstrakte Klang des Klaviers unterstützt die
Kargheit und Sprödigkeit dieser musikalischen Landschaft, in der
nur das Allernötigste erklingt. Er hebt die Isolation der verlassen
im Raum schwebenden Linien und Töne hervor und unterstreicht die
experimentellen, zukunftsweisenden Züge der Werke".
Dies ist eine rein theoretische Behauptung: jeder, der dieses Stück
einmal mit einem Klavier zum Klingen bringen möchte, wird an den
klavierauszugartigen Tremoli scheitern, wie selbst die Einspielung des
großen Alfred Brendel beweist.
Ich habe das Stück orchestriert als handele es sich um ein Werk von
Anton Webern um 1910, denn es gibt hier mehrere Analogien: Ostinati, zwölftönige
Felder, Häufung einer freien Dissonanzbehandlung, äußerste
Transparenz in der Satzstruktur, offener Schluß, die Knappheit des
Ganzen. Insgesamt ein Stück, wie es selbst im einzigartigen Spätwerk
Liszts einzigartig dasteht.
"En rêve" aus Liszts Todesjahr hingegen ist eine klaviergemäße
Komposition, ein Nocturne in mild leuchtendem H-Dur. Doch auch hier sah
ich die Möglichkeit einer Steigerung des Ausdrucks durch die klangliche
Vielfalt des großen Orchesters, welches ich in diesem Fall als mehrere,
gleichzeitig zur Verfügung stehende Kammermusikformationen behandelte.
An drei Stellen (T.4 / T.8 und am Schluß) habe ich Töne hinzugefügt,
bzw. harmonische Varianten realisiert.
Die "Trauergondel" ist das umfangreichste der drei ausgewählten
Stücke, aber auch dasjenige mit den deutlichsten Schwächen.
Im ersten Drittel und am Schluß der Komposition finden sich lange
einstimmige Passagen, bei denen wohl nur gewisse Musikwissenschaftler
von genialer Reduktion sprechen können. Ich jedoch finde sie in dieser
Form schlaff und langweilig und habe sie durch auskomponierte Hallwirkungen
und kontrapunktische Setzungen verräumlicht.
Die von mir hinzugefügten sogenannten Tristanakkorde am Ende der
Einleitung sind ambivalent aufzufassen, denn einerseits hat Wagner Vieles
von Liszt entlehnt, andererseits hat wiederum Wagners Musik auf die späteren
Werke Liszts einen nicht unwesentlichen Einfluß ausgeübt.
An bestimmten Stellen - so behaupte ich - fehlt manchmal nur ein Ton,
der einen angestrebten Harmoniewechsel auf den Punkt bringen könnte.
Diese "fehlenden" Töne wurden ebenfalls von mir hinzugefügt.
Den Mittelteil der Komposition habe ich als Klavierstück im Klavierstück
gelesen, weshalb ich den originalen Klaviersatz an dieser Stelle in den
Orchesterklang eingelassen habe.
Generell habe ich dieses Stück als imaginäre Opernszene mit
dem Klavier als tragischen Helden gedeutet.
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