Claus Kühnl Bald formte sich in meiner Vorstellung der Klang eines "Oratoriums zerschellter Teile" und ich wählte die Violine und das Klavier, gewissermaßen als Rudiment eines Orchesters, setzte den Gesang für einen tenoral gefärbten Bariton und entwarf zehn Sätze von durchschnittlich eineinhalb Minuten Dauer. Nur der siebte Satz dauert länger und vereinigt alle drei Musiker. Die Sätze zwei, vier, sechs, acht und neun sind rein instrumental komponiert und verweisen bereits durch die Überschriften auf Außermusikalisches: Übermalung I / II setzen den Hörer einem jähen Stilbruch aus, so als würde eine übermalte, frühere Schicht für einen kurzen Moment zu Tage treten. Form I - III sind reine Klavierstücke, die mit Wucht aus den vorangehenden Gesängen hervorbrechen. In den Gesängen selbst offenbart sich ein ernster, gehobener Ton. Kaum je wird der Versuch unternommen, die Metaphern der Gedichte durch direkte musikalische Bezüge auszudeuten. Stattdessen werden die musikalischen Materialien - ähnlich der assoziativen Logik in den Gedichten - fortwährend verfremdet. So folgen beispielsweise im ersten Gesang barocke Ornamente auf eine panchromatisch, postimpressionistische Introduktion. Aus dichten Akkordblöcken geht eine mittelalterliche, sakral anmutende Klauselbildung hervor. Der letze gesungene Ton wird bei getretenem Pedal beinahe ins Klavier geschrien, was eine unerwartete Veränderung des Klangraumes bewirkt. Nur der Schlußgesang entfaltet eine homogen gestaltete Melodie, die, zuletzt sprachlos geworden, vom Klavier alleine zu Ende "gesungen" wird.
(Claus Kühnl) |